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Der Gefrierschrank

 ·  ☕ 8 Minuten zum Lesen  ·  ✍️ dark*

Die Geschichte begann letztes Jahr Ende Oktober und zieht sich eine Weile.

Wir kamen gerade aus dem Norwegen-Urlaub zurück. Die Fische glotzten uns mit hungrigen Augen aus den Aquarien an und sollten natürlich direkt ihr Frostfutter bekommen. Das ist Aufgabe des Herrn Lebensabschnittsgefährten, der er nachging, während ich noch das eiligst in Taschen gestopfte Zeug aus dem Camper verräumte.

“Der Gefrierschrank ist abgetaut”, tönte es aus der Küche. Ne, oder? Ich überzeugte mich selbst, öffnete die Tür und hätte am liebsten einen Heulkrampf bekommen. In der obersten Schublade tropfte es, da war alles aufgetaut, in den beiden darunter waren die Lebensmittel angetaut. Ich schloss die Tür wieder, dafür hatte ich nun wirklich keinen Nerv.

Am nächsten Tag ging ich das Problem halbwegs rational an, was mir zugegebenermaßen etwas schwer fiel, denn ich kam mit einem ziemlich heftigen Anfall meines Reizdarmsyndroms aus dem Urlaub zurück, wie ich hier schon einmal schrieb. Bohnenkaffee trinke ich übrigens immer noch nicht. Und feste Nahrung lehnte mein Körper zu diesem Zeitpunkt ab.

Jedenfalls legte ich ein paar Handtücher auf dem Küchenboden aus und begann, den Inhalt des Gefrierschranks zu sortieren. Der Schrank war randvoll mit Lebensmitteln, noch vor dem Urlaub waren wir einkaufen. Diese Lebensmittel sortierte ich nun in “möglicherweise noch genießbar” und “für die Tonne”. Ich hasse es, Lebensmittel wegzuschmeißen!

Die Fischstäbchen wanderten in den Müll, auf Fischvergiftung hatte ich keine Lust. Außerdem lagen die weit oben und die Packung fühlte sich schon sehr weich und aufgetaut an. Das Fleisch darunter aber war noch in einem recht guten Zustand, mindestens halb-, größtenteils noch mehr gefroren. Das räumte ich zurück in den Eisschrank auf das vereiste Kühlgitter. Ein paar Bratwürste hatten es leider auch nicht geschafft, die hatten schon eine eigenartige Farbe und wurden vorsichtshalber ebenfalls entsorgt.

Das meiste Gemüse sah noch ganz passabel aus und wurde ebenfalls für die Weiterverwendung zur Seite geräumt. Ein wenig Käse, der als Pizzabelag und zum Überbacken dienen sollte, schien auch noch genießbar. Das Eis am Stiel war ein schmerzlicher Verlust. Insgesamt war die Ausbeute der rettbaren Lebensmittel recht hoch. Besonders die vakuumierten Sachen schienen noch in Ordnung zu sein.

Nun konnten wir ja nicht so unglaublich viel Zeug auf einmal essen. Und ich sowieso nicht, ich war ja immer noch out of order. Also machte ich mich daran, das ganze Fleisch irgendwie mit dem vorhandenen Gemüse zu kombinieren, so dass ich auf diverse Gerichte kam, die ich einkochen konnte. Das war die einzige Möglichkeit, das Zeug zu retten.

Ich war den ganzen Tag damit beschäftigt, Fleisch klein zu schneiden und zu wolfen und diverse Gerichte zu kochen: Gulasch, Bolognese-Soße, Currywurst, Möhrengemüse und keine Ahnung, was noch. Aufgrund meiner Magenprobleme war der Essensgeruch den ganzen Tag eine Tortur, Abschmecken ging gar nicht. Ab und zu holte ich den Herrn Lebensabschnittsgefährten aus dem Homeoffice hinzu, um letzteres für mich zu erledigen. Allerdings fällt der in dieser Disziplin eher in die Kategorie Fachkräftemangel. Aber egal, Hauptsache es schmeckt ihm.

Als nächstes schrieb ich den Support von IKEA an. Allerdings muss ich an dieser Stelle zugeben, dass es etwas dauerte, bis ich das erledigte, denn mir ging es ja immer noch überhaupt gar nicht gut und ich hatte für solche Dinge keine Ressourcen. So ward es Anfang Dezember, bis das ganze ins Rollen kam. Und es rollte ausgiebig.

7. Dezember

Automatisierte Antwort vom IKEA-Support.

Wir melden uns in Kürze bei dir zurück.

29. Dezember

“In Kürze” ist anscheinend eine Zeitspanne von 22 Tagen: E-Mail vom IKEA-Support.

Sie haben sich mit Ihrem Anliegen an uns gewandt – vielen Dank dafür. Uns ist wichtig, dass Sie wissen: Wir haben Sie nicht vergessen. […] Sollte Ihr Anliegen noch aktuell sein, kontaktieren Sie uns bitte zur schnelleren Klärung

Diese Arbeitsweise - erstmal abwarten, ob sich das Problem vielleicht von selbst löst - kenne ich. Mein Problem hat sich nicht von selbst gelöst, der Gefrierschrank ist immer noch tot. Ich melde dies über das Kontaktformular und erhalte erneut eine automatisierte Antwort vom IKEA-Support. Noch am selben Tag kommt aber auch eine richtige Antwort:

Damit Ihnen schnell geholfen wird, wenden Sie sich bitte direkt an den Kundendienst. Diesen erreichen Sie telefonisch montags bis freitags von 8:00 bis 18:00 Uhr unter der Rufnummer …

Zu diesem Zeitpunkt befinde ich mich allerdings am Nordkapp. Ich verschob den Anruf auf “nach dem Urlaub”, der noch bis 11. Januar dauert.

12. Januar

Ich rufe beim Kundendienst an. Es handelt sich um die Firma Bauknecht/Whirlpool/undwasnochalles. Unser Gerät wurde von der Firma Bauknecht produziert. Ich erläutere mein Problem und bekomme einen Termin für den 23. Januar, zwischen 07:00 und 18:00 Uhr.

Zwischen 07:00 und 18:00 Uhr! 11 Stunden Hausarrest!

23. Januar

Der Techniker kommt, prüft und klopft auf den Eingeweiden unseres Gefrierschranks herum und diagnostiziert einen defekten Kompressor. Der wird nun bestellt und man wird mich wegen eines Termins kontaktieren.

1. Februar

Die Kundendienstfirma ruft an und wir vereinbaren einen Termin für den nächsten Tag zwischen 07:00 und 12:00 Uhr.

2. Februar

Ein anderer Techniker als beim letzten Termin kommt mit dem bestellten Ersatzteil. Vor meinem Unterbau-Gefrierschrank kniend hat der arme Kerl einen Blackout. Er weiß nicht, wie er den Schrank aus der Lücke bekommen soll, ohne die Türe abzubauen. Ich sage ihm, er soll ihn einfach rausziehen, der habe Füße. Aber irgendeine Synapse ist gerade in Kaffeepause, er rafft’s nicht. Der Dialog geht mehrfach hin und her bis ich sage: “Der ist doch schon groß, der steht auf eigenen Füßen.” Da ist der Groschen endlich gefallen, was ihm sichtlich peinlich war. Wir lösten die Situation mit Lachen.

Er ignoriert den Kompressor des Gefrierschranks und reißt stattdessen eine Silberfolie am oberen Rand des Geräts ab, steckt einen Schraubzieher unter das darunter befindliche elektronische Bauteil und der Gefrierschrank springt an, unter Technikergemurmel: “Dachte ich mir.” Dann wendet der Mann sich an mich:

Nee, das ist nicht der Kompressor, das ist der Thermostat. Da kann ich jetzt gar nichts machen, da muss ich erstmal einen neuen Thermostat bestellen. In der Firma haben wir keinen auf Lager gehabt, sonst hätte ich einen mitgebracht.

8. Februar

Die Kundendienstfirma ruft an und wir vereinbaren einen Termin für den 15. Februar zwischen 12:00 und 16:00 Uhr. Wie schon beim letzten Termin, planen der Herr Lebensabschnittsgefährte und ich schon, wann wir was einkaufen gehen, um unseren Gefrierschrank endlich wieder zu befüllen. Wir leiden unter akutem Eis-Mangel und können es kaum erwarten.

15. Februar

Der Techniker vom ersten Termin ist wieder da mit dem bestellten Ersatzteil. Er zieht den Gefrierschrank aus der Einbaulücke und löst den alten Thermostat. So weit, so easy. Dann muss er vorne in den Schrank, um dort den Temperaturfühler zu entfernen. Dazu kriecht er halb in den Gefrierschrank hinein und aus dem Inneren des Geräts kommen Geräusche, die eher nach Schrottpresse als nach Reparatur klingen. Der Temperaturfühler ist um eine Kühlleitung gewickelt und mit einer Feder befestigt. Es klingt ziemlich übel, das zu lösen. Tja und dann …

Nee, das ist nicht nur der Thermostat, der verliert Kühlflüssigkeit. Da kann ich gar nichts mehr machen, da muss ein neuer Gefrierschrank bestellt werden.

Bitte was?

Er telefoniert mit irgendwem und ordert einen neuen Gefrierschrank. Die Kollegin wird sich in den nächsten Tagen telefonisch bei mir melden, um einen Liefertermin zu vereinbaren.

21. Februar

E-Mail vom IKEA-Support:

Wir haben vom Hersteller die Information erhalten, dass das Gerät ausgetauscht werden darf.
Leider haben wir Ihren Gefrierschrank mit der Artikelnummer xxx nicht mehr in unserem Sortiment.
Wir haben aktuell auch keine Alternative für Sie, die wir Ihnen anbieten können.
Aus diesem Grund besteht nur die Möglichkeit, dass wir das defekte Gerät bei Ihnen abholen und Ihnen den Warenwert erstatten. Dafür benötigen wir von Ihnen eine IBAN-Nummer für die Erstattung.

Na toll! Ich rufe beim Service an und vereinbare einen Termine für die Abholung.

Hej Stephanie,
wir bestätigen dir hiermit deinen Abholauftrag xxx.
Dein Abholtermin ist Freitag, 24.02.2023 zwischen 07:00 und 14:00 Uhr.
Spätestens am Abholtag wird deine Abholung verplant. Danach senden wir dir eine E-Mail mit einem voraussichtlichen 3-Stunden-Zeitfenster.

Letzteres ist doch immerhin mal eine tolle Ansage.

23. Februar

E-Mail vom IKEA-Support:

Unser Spediteur hat die Abholung geplant für Freitag, 24.02.2023, zwischen 11:00 und 14:00 Uhr. Die Uhrzeit ist eine voraussichtliche Angabe und kann abweichen.
Der Fahrer wird dich ca. eine Stunde vor dem Eintreffen telefonisch informieren.

24. Februar

Gegen 10:45 Uhr ruft der Spediteur an und kündigt seine Ankunft in etwa 40 bis 60 Minuten an. Außerdem will er wissen, was für ein Gerät er überhaupt abholen soll. Da die Artikelnummer nicht mehr bei IKEA im System ist, steht auf dem Auftrag nämlich nur:

Rückgabe - Art.Nr. fehlt SGR

Um 11:35 Uhr klingeln die beiden Mitarbeiter der Spedition und holen das Gerät ab.

Werbung: Bauknecht weiß, was Frauen wünschen

Das große Loch, das nun in unserer Küchenzeile klafft, habe ich mir nicht gewünscht. Bloß gut, dass dieser Werbeslogan nach 50 Jahren Gebrauch nun schon eine Weile Geschichte ist.

Unser Gefrierschrank ist ebenfalls Geschichte und wird - obwohl wir nun schon so lange ohne auskommen - schmerzlich vermisst. Aber da hier gerade wieder eine Reise geplant wird, die nächsten Monat stattfindet, haben wir die Anschaffung eines neuen Gefrierschranks nun auf “nach dem Urlaub” verschoben.

Der Gefrierschrank - Die Fortsetzung

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